Ich habe in Halle Rechtswissenschaften studiert und bin 1980 nach Leipzig gekommen, wo ich in der Fachhandelsorganisation Waren täglicher Bedarf als Juristin u.a. für die Vertragsstrafen zuständig war. Da wurde zum Beispiel nicht pünktlich angeliefert, und dann wurde eine Strafe berechnet. Eigentlich hatte ich ja Jura studiert, weil ich ein starkes Gerechtigkeitsempfinden habe.
In den regelmäßigen Zusammenkünften bei der Stadtjugendpfarrerin Andrea Richter und ihrem Mann, dem Studentenpfarrer Edelbert Richter, in Naumburg habe ich das ganz anders erlebt. Da sind Menschen, die wie ich Suchende und Fragende waren, ganz bewusst und engagiert als Christinnen und Christen aufgetreten.
Diese Haltung hat mich sehr angesprochen. Dort wurde nicht gemeckert oder in Chiffren geredet, sondern wir führten politische Gespräche darüber, was sich in der DDR ändern müsste und dass es sogar unsere Verantwortung ist sich dafür einzusetzen, dass sich etwas verändert.
Ich habe mich dann im Mai 1982 – ich war damals 27 Jahre alt – konfirmieren lassen und fing 1983 an, im Konsistorium in Magdeburg zu arbeiten, dem Vorläufer vom heutigen Landeskirchenamt.
In der Zeit war das ein wirklich großer Schritt, denn wenn ich zur Kirche ging, konnte ich in keinen anderen juristischen Beruf außerhalb der Kirche in der DDR zurückkehren.
Die Forderungen des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sind bis heute der Antrieb meines kirchlichen und gesellschaftlichen Engagements.
Nach der Wiedervereinigung war es für mich keine Option, etwa eine Anwaltszulassung zu beantragen. Ich wollte mich weiter für eine Öffnung der Kirche einsetzen, in der die Menschen ihre Freude am Evangelium ausstrahlen. Im Dezember 2000 wurde ich von der Magdeburger Kirchenleitung zur Präsidentin des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen gewählt. Damit war die Aufgabe verbunden, den Kooperationsvertrag zwischen der Kirchenprovinz Sachsen und der Thüringer Landeskirche umzusetzen. Seit 2004 leite ich das Kirchenamt der mitteldeutschen Kirche (EKM).
Quellenangaben: Portrait Brigitte Andrae (Quelle: Inga)Eigentlich suchte ich einen Friedenskreis, als mir Rainer Bohley von den Frauenfriedensgruppen erzählte und so gehörte ich seit 1984 der Magdeburger Gruppe „Frauen für den Frieden“ an. Da trafen sich katholische, konfessionslose und protestantische Frauen jeden Monat in einer Wohnung, um gemeinsam zu lesen und zu diskutieren. Diese Gemeinschaft hat mich sehr gestärkt.
Auf der 2. Vollversammlung der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung am 28. Oktober 1988 gestalteten Christina, Edita, Sonja und ich den Abschlussgottesdienst im Begegnungszentrum in der Wallonerkirche. Das Evangelium des Sonntags, die Heilung des Gelähmten (Mk 2, 1-12), schien uns wie eine Offenbarung unserer eigenen Situation. In der biblischen Geschichte fanden sich vier Freunde, um dem Gelähmten zu helfen. Sie deckten das Dach ab und stiegen direkt zu Jesus in die Mitte der Versammlung herab. Also legten wir eine Bischofsmütze und einen Panzer auf eine Trage und die haben wir dann so richtig mit Wumms in das Hausdach gehauen, das wir vor dem Altar aufgebaut hatten.
Wir wollten nicht, dass unsere Kinder in der Schule in einer einseitigen Ideologie erzogen werden und wir wollten in unseren Kirchen kein Beharren auf einseitigen männlichen Herrschaftsstrukturen, die Frauen an den Rand drängen!
Am 10. Oktober 2006 kam ich früh zum Konsistorium am Magdeburger Dom und da lag ein riesiger Scherbenhaufen vor der Tür. Daneben stand eine ganze Reihe von Mitarbeitenden mit Protestschildern.
Im Dezember 2000 war ich von der Magdeburger Kirchenleitung zur Präsidentin des Konsistoriums der Kirchenprovinz Sachsen gewählt worden. Damit war die Aufgabe verbunden, den Kooperationsvertrag zwischen der Kirchenprovinz Sachsen und der Thüringer Landeskirche umzusetzen. Und dann kam irgendwann der Schritt zu fragen, ob es nicht eigentlich doch richtiger sei, beide Kirchen zu fusionieren. Das Ergebnis der Machbarkeitsstudie zum künftigen Standort des Landeskirchenamtes lautete Erfurt oder Magdeburg. Die Entscheidung fiel dann für Erfurt. Das hieß, dass die bisherigen Arbeitsplätze von Mitarbeitenden in Magdeburg und Eisenach wegfallen würden, sie müssten also umziehen oder weite Arbeitswege in Kauf nehmen.
Angesichts des Protestes der Mitarbeitenden sagte ich zum Bischof: „Wir gehen da jetzt raus und dann reden wir!“ Ich habe dann alle Mitarbeitenden in den großen Saal gebeten und dort haben wir diskutiert. Das war schon hart, denn ich wurde emotional direkt angegriffen. Aber ich habe- glaube ich- die große Fähigkeit zu hören, was Menschen sagen und warum sie was sagen. Ich nehme diese Stimmungen und unterschiedlichen Interessen auf und versuche einen Weg zu finden, wie man zueinanderkommt.
Kompromisse sind notwendig, damit Dinge weitergehen können!
Als ich mich 1983 am Konsistorium beworben hatte, wurde ich schon gefragt: „Ach, Sie haben ein Kind und Sie sind alleinstehend, wie machen Sie das dann?“
Aber ein Jahr später wurde ich schon als Dezernentin ins Leitungsgremium berufen. Da begegneten mir dann Sätze wie: „Jetzt lassen Sie mal die Emotionen beiseite, jetzt werden Sie mal sachlich!“ oder die Aufforderung: „Ja, Sie müssen schon auch mal was sagen!“ Da habe ich dann gemerkt, dass Frauen einfach eine andere Art haben zu denken, zu sprechen und sich einzubringen.
Deshalb habe ich -mit meinen damals 34 Jahren- während der Ökumenischen Dekade „Kirche in Solidarität mit den Frauen“ bei einer Anhörung zum Thema Frauen in Leitungsfunktionen beim Bund der Evangelischen Kirchen in Berlin im Oktober 1989 u.a. folgende Forderungen gestellt: Frauen sollen ermutigt werden, Leitungsämter zu übernehmen. Bei Sachaussprachen soll auch Raum für Betroffenheit und nicht nur für sogenannte „objektive Rede“ gelassen werden.
In den Leitungsgremien soll generell eine Sprache gewählt werden, die Frauen achtet und einbezieht!