Ich wünsche mir, dass die protestantische Kirche in Polen mehr Anerkennung erfährt!

Zu Hause in Wrocław waren wir eine ganz normale katholische Familie. Mein Bruder und ich wurden getauft, haben die Kommunion empfangen und sind auch konfirmiert. Zwischen 1952 und 1989 wurde das katholische Abschlusszeugnis in Polen getrennt vom staatlichen Abiturzeugnis ausgestellt. Aber der Religionsunterricht in der Kathedrale von Wrocław hat mich so begeistert, dass ich diese Extra-Prüfung gern abgelegt habe.

Dennoch fühlte ich mich in der Alltagspraxis der katholischen Kirche immer eingeschüchtert. Die Priester haben in den Predigten von der Kanzel gedroht und die Beichte fand ich peinlich. Warum sollte ich vor jemandem, den ich nicht kenne, meine Sünde erklären? Danach sollte ich zwei Mal das Vaterunser und ein Maria-Gebet aufsagen oder 3 Stationen vom Rosenkranz beten.

Ich konnte kein Gefühl dafür entwickeln.

Mein Übertritt zur evangelischen Kirche war stark durch eine Freundin inspiriert, die sich schon entschieden hatte, zu konvertieren. Sie war ganz verzweifelt, denn sie hatte einen Mann, der sie und die Kinder schlug. Der Rat des katholischen Priesters lautete, die Ehe aufrecht zu erhalten. Das fand ich nicht richtig. Ich ging also „probeweise“ mit zu den protestantischen Gottesdiensten und es war etwas ganz anderes. Die Gemeindemitglieder haben sich freundlich begrüßt und nach dem Gottesdienst gab es das Kirchencafé. Wir konnten mit dem Pfarrer über die Predigt reden und unsere Fragen offen stellen.

Die Geistlichen in der evangelischen Kirche sind viel näher an den Lebensthemen der Gemeindemitglieder. In Polen gibt es zum Beispiel keine gleichgeschlechtlichen Eheschließungen. Es gibt sogar Gemeinden, die sich zur LGBT (Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender) -freien Zone erklären und von den Priestern ganz offen darin unterstützt werden. Sie vertreten Auffassungen von Sexualität, die nicht ins 21. Jahrhundert passen. Dadurch bleiben einige Christen ohne jede Hilfe und Unterstützung.

Ich wünsche mir, dass die protestantische Kirche in Polen bekannter wird und mehr Anerkennung erfährt.

Seit 2014 bin ich Mitglied der evangelischen Gemeinde in Wrocław. Den Weltgebetstag bereiten wir in einer ökumenischen Gruppe vor. Dort sind wir Frauen aus der katholischen, der orthodoxen, der polnisch-katholischen und der protestantischen Kirche. Unsere Vorbereitungen fangen schon im Oktober mit der Bibelarbeit an. Wir besprechen das Motto und arbeiten an der Liturgie, die traditionell von Frauen vorbereitet wird. Daraus schöpfen wir Kraft für das ganze Jahr!

Quellenangaben: Titelbild privat

Lebenswegstation 1

In Polen Deutsch sprechen

Mein Vater kommt aus Oberschlesien und hatte dort die deutsche Schule besucht, weil es keine andere gab. Ich hatte in der Schule Deutsch als dritte Fremdsprache und es hat mich immer stolz gemacht, dass ich als einziges Familienmitglied mit meinem Vater auf Deutsch reden konnte. So wurde daraus eine Leidenschaft.

An der Berufsschule, an der ich seit vielen Jahren Deutsch unterrichte, organisiere ich Jugendaustausche zwischen Polen und Deutschen. Außerdem organisiere ich seit zwei Jahrzehnten den deutsch-polnischen Dialog zwischen interessierten Erwachsenen aus Wrocław und Würzburg. Wir treffen uns einmal im Jahr und wählen uns ein politisches Thema, zu dem wir uns Referent*innen einladen und vor allem diskutieren. Diese Diskussionskultur ist uns sehr wichtig!

2019 Seminar Deutsch-Polnischer Dialog in der Akademie Frankenwarte in Würzburg Foto: Andrzej Chludziński

Lebenswegstation 2

Die Zukunft erinnern!

Ich wusste lange Zeit gar nicht, dass es in Wrocław einen Neuen Jüdischen Friedhof gibt, ich kannte nur den alten. Eine Seminarteilnehmerin in Kreisau/Krzyżowa hat mir dann von der Friedhofspflege im Rahmen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienst erzählt.

Seit ein paar Jahren leite ich nun das Sommerlager auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Wrocław. Da die Mehrzahl der dort Bestatteten deutsche Juden waren, gibt es heute keine Angehörigen, die die Gräber pflegen könnten. Das übernehmen im Sommer wir. Außerdem laden wir jedes Jahr Schulklassen dazu ein. Die Schüler*innen übertragen die Oberflächenstruktur der Grabsteine mit der Frottage-Technik - durch Abreiben mit Kreide oder Bleistift auf ein aufgelegtes Papier. Auf diesem Weg lernen sie die Symbole der jüdischen Religion kennen und sie zu lesen.

2019 Sommerlager auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Wrocław im Rahmen der Aktion Sühnezeichen Friedensdienst

Lebenswegstation 3

Toleranz im Glauben finden!

Meine enge Beziehung zur evangelischen Kirche hat erst 2014 angefangen. Als junge Katholikin hatte ich an einem Seminar der evangelischen Kirche in Halle teilgenommen, in dem wir die Frau am Jakobsbrunnen aus dem Johannesevangelium gelesen und gemeinsam besprochen haben. Damals gefiel mir gut, dass Jesus keine Standesunterschiede macht. Diese Geschichte begegnete mir beim Weltgebetstags 2014 wieder, der unter dem Motto „Wasserströme in der Wüste“ organisiert wurde.

Die evangelische Kirche in Wrocław befindet sich im sogenannten Viertel der Toleranz, in dem eine evangelische, eine katholische, eine orthodoxe Kirche und eine jüdische Synagoge stehen. Die vier Gemeinden arbeiten in einer Stiftung zusammen und organisieren ökumenische Veranstaltungen. Die einzelnen Kirchen öffnen einmal im Jahr ihre Türen und erklären die Besonderheiten ihrer Religion.

Dazu passt für mich ein Buch, dass mir eine Freundin geschenkt hat. Die Herrnhuter Losungen sind kurze Bibeltexte des Alten und des Neuen Testamentes. Sie passen gut zu meiner ökumenischen Einstellung, da sie für alle Christen, gleich welcher Konfession, verfasst werden. Darin lese ich jeden Tag und stelle überrascht fest, wie oft die Losung zu meinem Tag passt.

Die evangelische Kirche in Wrocław Foto: privat